[neues] Herbst 2024¶
(Noch nicht fertig)
Liebe Benutzer und Freunde von TIM und Lino,
hier noch mal wieder ein paar Geschichten aus dem Geschäftsleben eines Ostbelgiers im Ausland.
Wenn ich Erfolgsberichte anderer IT-Unternehmen lese, dann schäme ich mich immer ein bisschen, weil ich keine so sensationellen Zahlen vorzeigen kann. Aber das ist falsche Scham. Was eigentlich zählt, sind doch nicht finanzielle Transaktionen, sondern ob ich meinen Mitmenschen einen Dienst erweisen kann. Software-Entwickler ticken diesbezüglich nicht anders als Ärzte, Schornsteinfeger und Briefträger.
Zum Beispiel findet der gute alte TIM auch im Jahr 2024 noch neue Liebhaber. Einer meiner Kunden hat im letzten Jahr umfangreiche Personaländerungen gehabt. Dadurch kommt eine Welle von jungen Menschen der Generation Z erstmals mit TIM in Kontakt. Und TIM stammt ja bekanntlich noch aus dem vorigen Jahrtausend. Wenn ich so einem Digital Native dann per Videositzung einige Benutzertricks beibringe, kann ich das Leuchten in seinen Augen geradezu spüren. Von solchen Momenten lebe ich (unter anderem).
Demnächst kommt mal wieder eine Herausforderung auf TIM zu: ab 2026 wird elektronische Fakturierung in Belgien verpflichtend. Diesen Sommer habe ich das neue Feature in Lino programmiert, um mich in die Materie einzuarbeiten. Theoretisch ist das auch für TIM kein Problem, aber der Teufel steckt ja bekanntlich im Detail. Für ein paar technische Fragen suche ich noch immer nach Antworten im Heuhaufen unserer Verwaltungen. Neulich nahm ich deshalb an einem Forum über eDelivery teil, das von der EU-Kommission organisiert war. Huch, das war nicht mein Ding! Da saßen keine Programmierer, sondern die Direktoren der Teamleiter von Programmierern. Aber immerhin habe ich interessante Einblicke erhalten in die politischen Aspekte von Software-Entwicklung.
Im April stieß ich zufällig auf die Webseite einer société coopérative in Belgien, die eine Software für Kinderheime entwickelt. Und der Ton gefiel mir auf Anhieb. “Wir engagieren uns, die Teilnahme und aktive Investition in unsere Projekte zu fördern und den Geist der Zusammenarbeit und Solidarität zu stärken” steht da zum Beispiel. “Ah! enfin! je ne suis pas tout seul!” schrieb ich ihnen. Und ob sie Lino und mich mit in ihrem Boot haben wollen. Ende August hatten wir dann ein erstes Videotreffen mit den Teilhabern, bei dem prinzipiell grünes Licht gegeben wurde für unsere Zusammenarbeit. Collaboration avec Lino, un outil pour une gestion intégrée des CPAS. Jetzt hoffen wir, dass die Hub People weitere ÖSHZ in Belgien finden, die einen Lino brauchen.
Lino ist freilich mehr als der Lino für ÖSHZ. Lino Così ist für einfache kleine Unternehmen, Lino Voga für Schulungszentren, Lino Tera für Therapiezentren, Lino Presto für Dienstleistungsanbieter. Daneben gibt es einen Lino, mit denen man einen Webshop oder eine Webseite bauen könnte. All das sind leider bisher lediglich Machbarkeitsstudien. Meine Versuche, einen echten Betreiber für diese Anwendungen zu finden, sind –oft nur knapp– gescheitert. Auch die TIM-Benutzer finden keinen Grund, umzusteigen. Selbst ich mache ja meine Buchhaltung noch mit TIM. Und bin stolz darauf. Jeder normale Geschäftsmann hätte ein so schwer verkäufliches Produkt wie Lino schon längst eingestampft. Zum Glück bin ich nicht normal.
Das schwer Verkäufliche an Lino ist nicht die Software, sondern die Art der Zusammenarbeit. In einer Branche, wo richtig abgezockt wird, glaubt dir keiner, dass es auch anders geht. Anders zu sein ist schwer, aber immer wenn ich mich alleine fühle, kommt von irgendwo ein Hoffnungsschimmer, der mir Mut macht.
Im Juli hat mir Sharif, mein Programmierer in Bangladesh, einen Schrecken eingejagt. Er fuhr mit dem Motorrad einen Freund besuchen und war seitdem wie vom Erdboden verschluckt. Mit seiner Schwester, seiner Frau und einigen seiner Freunde habe ich Chat-Kontakt und wir haben gebetet, dass er heil und gesund wieder auftaucht. Anfangs fürchteten wir, dass er irgendwo im Urwald tot neben seinem Motorrad aufgefunden wird. Ungeachtet des menschlichen Dramas hatte die Geschichte für Lino ihre guten Seiten. Dadurch war ich gezwungen, mich erstmals tiefer rein zu knien in gewisse Technologien, vor denen ich mich bisher erfolgreich hatte drücken können. Und vorige Woche, vier Monate später, ist Sharif zurück nach Hause gekommen und es stellte sich heraus, dass er “nur” eine Krise auf der Suche nach dem Sinn des Lebens hatte. Jetzt geht er wegen Depression in Behandlung und ich hoffe, dass er bald wieder auf dem Damm ist. Kein normaler Geschäftsführer würde einen Programmierer, der Firma und Familie vier Monate im Stich gelassen hat, wieder einstellen. Gut, dass ich nicht normal bin.
Im Oktober habe ich wieder ein verrücktes Pilotprojekt begonnen: ich versuche, Skolengo Konkurrenz zu machen. Skolengo ist die Verwaltungssoftware für Schulen, die seit 2021 in Ostbelgien durch das Ministerium der DG gefördert wird. Das Produkt hat 120 Mitarbeiter und läuft in 3600 Schulen in 70 Ländern. Und der kleine Luc will das mit Lino mal schnell nachmachen?! Jain, denn erstens nicht alleine und zweitens nicht schnell. Aber ich will zeigen, das es auch anders gehen könnte. Das Problem mit Skolengo ist nämlich, dass alle Entscheidungen letztlich von einer Firma gefällt werden, deren oberstes Ziel einzig und allein die Vermehrung des Gewinns ihrer Besitzer ist.
Digitale Souveränität ist nun mal leider für viele Entscheidungsträger noch ein Fachbegriff, der sie nichts angeht. Joan Westenberg beschreibt in The Internet is Shrinking, dass das Internet immer mehr von Technologiegiganten missbraucht wird, um uns in digitalen Zoos einzufangen. Zum Glück gibt es Gruppen, die sinnvolle Öffentlichkeitsarbeit betreiben, z.B. die FSFE (“Wir wollen rechtliche Grundlagen, die es erfordern, dass mit öffentlichen Geldern für öffentliche Verwaltungen entwickelte Software unter einer Freie-Software- und Open-Source Lizenz veröffentlicht wird”) oder die OSB (“Die digitale Souveränität Deutschlands und die Innovationskraft unserer Wirtschaft hängen entscheidend davon ab, wie schnell und entschlossen sich die öffentlichen Verwaltungen aus den Abhängigkeiten von proprietärer Software lösen kann.”)
Es stimmt allerdings, dass auch Freie Software eine Trägerinstitution braucht, um nachhaltig zu funktionieren. Es gibt Geschichten von Betrieben oder Verwaltungen, die dank einiger Idealisten einen Schritt in Richtung Softwarefreiheit wagten und dann einen Rückzieher machen mussten und enttäuscht schlussfolgerten, dass Freie Software “unbenutzbar” sei. Die Idealisten werden dann für den “Fehltritt” verantwortlich gemacht und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Bert Hubert erklärt in Open Source on its own is no alternative to Big Tech, dass “Linux” keine Chance gegen “Microsoft” hat, weil schon die Gegenüberstellung an sich ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen ist.
Oje, jetzt rede ich schon wieder über die großen Themen, bei denen ich ja doch nichts zu entscheiden habe! Sie brauchen meine Überzeugungen nicht zu teilen, aber ich bin schon dankbar, dass Sie bis hierher gelesen haben. Schluss jetzt mit dem Gerede, die Arbeit ruft!